Was vor wenigen Jahren noch als der Beginn eines futuristischen Science-Fiction-Romans gehandelt werden konnte, wird zunehmend Realität. Im Oktober 2021 stellte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg seine Vision eines Metaversums vor – eine Erweiterung des digitalen Raumes, die die nächste Entwicklungsstufe von Internet und sozialer Technologie darstellen soll. Zuckerbergs Metaverse soll zum neuen, digitalen Goldstandard für soziale Interaktion, virtuelles Arbeiten, Gaming wie Online-Handel werden und befindet sich bereits in der Aufbauphase. Mittels Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) können sich Nutzer*innen schnell und barrierefrei in der digitalen Welt bewegen und mit ihr interagieren. Akteure aus der Modebranche, dem Einzelhandel oder der Spieleindustrie sprangen schnell auf den Zug auf: Großkonzerne wie H&M, LEGO oder Walmart versuchen bereits mit Werbeflächen und eigenen Shops, die auf virtuellen Grundstücken – teils im Wert von hunderttausenden Euros – entstehen, in der digitalen Welt Fuß zu fassen.
Healthcare goes Metaverse: Vom virtuellen Krankenhaus bis zum Datenschatz für medizinische Forschung
Bei diesen rasanten Entwicklungen stellt sich schnell die Frage, ob auch die Gesundheitsbranche den Metaverse-Trend ins Augen fassen muss. Zugegeben, auf den ersten Blick scheint das Metaverse vor allem Technologie- und Consumer-Giganten eine neue Plattform bieten zu wollen. Bei näherer Betrachtung eröffnet das Konzept jedoch auch dem Gesundheitsmarkt eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, um innovative Angebote für Patient*innen entstehen zu lassen und die neue Zielgruppe von jungen und digital affinen Nutzer*innen zu erschließen. Das Spektrum der denkbaren Anwendungsszenarien ist dabei breit: Ob VR-Therapiesitzung, Operationsplanung per Hologramm, Einkauf in der virtuellen Apotheke, klinische Studie mit Daten aus dem Metaverse oder virtuelle Geschäftsstelle der eigenen Krankenversicherung – im Metaverse sollte sich für nahezu jeden Akteur der Gesundheitsbranche eine passende Nische und Anwendungsfall finden.
Telemedizin: Das Metaverse als neue Heimat für die digitale Leistungserbringung
Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der Metaverse-Trend schon bald an Fahrt aufnehmen könnte. Mit Aimedis hat das erste Unternehmen – normalerweise auf Gesundheitsdaten und Non-Fungible Tokens (NFTs) spezialisiert – Pläne für die Umsetzung und Ausgestaltung eines eigenen Gesundheitsmetaverse namens Aimedis Health City vorgelegt. Mit dem Gastroenterologen Dr. Javier Mendoza begrüßt es außerdem seinen ersten Arzt im unternehmenseigenen und vollständig digitalen Metaverse-Krankenhaus. Das Beispiel macht deutlich, dass eine virtuelle Versorgung zukünftig deutlich über Videokonsultationen und das Monitoring einzelner Parameter hinausgehen dürfte. Aimedis ließ verlauten, dass das langfristige Ziel des Metaverse-Krankenhauses sein soll, mittels VR-Technologie klinische Untersuchungen digital durchzuführen und es medizinischem Fachpersonal zu ermöglichen, Patient*innen aus der Ferne zu beraten und zu überwachen.
Etwas weiter gedacht, könnte das Metaverse zukünftig besonders für die Behandlung von chronischen und psychischen Erkrankungen oder in der Nachsorge spannend werden, da im virtuellen Raum des Metaverse Communities entstehen und Leistungserbringer*innen verschiedenster Fachrichtungen zusammengebracht werden können. Was in der realen Welt häufig mit aufwendiger Terminkoordination und Logistik verbunden ist, kann in der virtuellen Welt leicht umgesetzt werden. Dass solche digitale Communities auch genutzt werden können, um Stigmata abzubauen und Edukation zu betreiben, illustriert das Beispiel des Insulinpumpen-Herstellers Insulet Corporation. Um Diabetes-Erkrankte zu unterstützen, launchte das Unternehmen vor wenigen Wochen eine virtuelle Diabetes-Insel und ein Spielfigur mit Insulinpumpe im Spiel Animal Crossing. Betroffene können sich an Ständen informieren und über ihre Figur Aufklärung betreiben sowie Aufmerksamkeit für ihre Erkrankung schaffen.
Das Metaverse als Datenmarktplatz: Ein möglicher Weg zu klinischen Studien und Versorgungsforschung 2.0
Doch mit dem Krankenhaus im Metaverse soll es nicht genug sein: Aimedis plant zusätzlich einen NFT-Marktplatz für Gesundheitsdaten aufzubauen und verfolgt dabei einen ähnlichen Ansatz wie die britische Non-Profit-Organisation DeHealth. Der Grundgedanke: Patient*innen sollen ihre Gesundheitsdaten in der eigenen Hand haben und wann immer sie wünschen mit ihren Leistungserbringer*innen teilen können. Gleichzeitig soll eine Möglichkeit geschaffen werden, die Daten über einen Marktplatz zu handeln und sie so bspw. der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung zu stellen. Das Gesundheitsmetaverse birgt mit diesen gesammelten Daten und Informationen erhebliches Potential für klinische Studien und die Versorgungsforschung, deren Erkenntnisse für medizinische Innovationen und die Optimierung der Versorgung branchenübergreifend genutzt werden können. Für Akteure der Wissenschaft, darunter auch der Pharmaindustrie, könnte das Metaverse somit zukünftig ein vollkommen neues Licht auf die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten werfen.
Vorbild Nike, BMW & Co.: Das Metaverse als zukünftige Präsentationsfläche für Gesundheitsakteure?
News wie die des Autobauers BMW oder der Sportmarke Nike zeichnen einen deutlichen Trend, der mit dem Metaverse einhergeht: Die Nutzung der virtuellen Realität, um eine zusätzliche Anlaufstelle zu kreieren und von Nutzer*innen, Kund*innen oder mitunter auch Patient*innen über einen neuen Kanal wahrgenommen zu werden. Diese Logik scheint auch die US-Drogeriekette CVS-Health aufzugreifen und plant, sich ihren Platz als ersten virtuelle Apotheke des Metaverse zu sichern. Hierfür arbeitet CVS schon heute an dem Transfer seiner Produkte in den digitalen Raum: Von verschreibungspflichtigen Medikamenten über Wellnessangebote bis hin zu Beauty- und Pflegeprodukten. Zusätzlich soll die digitale Apotheke ihren Kund*innen ein virtuelles Beratungsangebot zur Verfügung stellen. Das Konzept ist mit medizinischer, Ernährungs- und Wellnessberatung dabei ebenso breit gefächert wie die von CVS angestrebte Produktpalette. Es wird spannend zu sehen, wann andere Gesundheitsakteure diesen Bestrebungen folgen und beginnen, an einem eigenen Auftritt im virtuellen Universum zu arbeiten.
Licht und Schatten: Um die Möglichkeiten des Metaverse zu nutzen, muss mit Herausforderungen bewusst umgegangen werden
Auch wenn es noch einige Jahre dauern wird, bis das Metaverse tatsächlich unser alltägliches Leben erobert, ist es für Akteure des Gesundheitswesen, aber auch Patient*innen nie zu früh über die Chancen und Herausforderungen des Metaverse nachzudenken. Frühzeitig mögliche Anwendungsfelder zu evaluieren und diese rechtzeitig zu nutzen, ist dabei ebenso wichtig, wie die Limitationen der neuen, virtuellen Welt zu kennen. Auch wenn sie Potentiale zur Weiterentwicklung von telemedizinischen Leistungen und einer neuen Form der Forschung birgt, sollten Themen wie Inklusivität, Datenschutz und Zugänglichkeit, aber auch die Schaffung einer soliden Datengrundlage bspw. in Form von virtuellen Zwillingen, frühzeitig mitgedacht werden. Insbesondere das Thema Digital-Health-Edukation – die im aktuellen Digitalisierungsprozess so manches Mal zu kurz zu kommen scheint – wird einen neuen Stellenwert auf dem Weg ins Metaverse einnehmen müssen.
Über die Autorin:
Ann-Kathrin Weigand ist Senior Insights Managerin bei Flying Health. Ihr Fokus liegt darauf, die neuesten Trends im Gesundheitswesen zu erfassen, zu analysieren und gewonnene Erkenntnisse anschaulich aufzubereiten. Gleichzeitig liegt ein Schwerpunkt ihrer Arbeit auf regulatorischen Fragestellungen rund um die Gesundheitsversorgung von morgen. Die Partner von Flying Health unterstützt sie somit immer, ein Bild der nahen und fernen Zukunft der Gesundheitsversorgung vor Augen zu haben.
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