Blogbeitrag

Spahns zweiter Versuch

Das Gesundheitsministerium als „Entscheider über Kassenleistungen“

Als ich die öffentliche Sitzung des G-BA am 21. Februar 2019 im schönen neuen Bürokomplex in der Gutenbergstraße in Charlottenburg (Bild) besuchte, stand u. a. auch die Wiederaufnahme der Bewertungsverfahren zur Liposuktion beim Lipödem Stadium III auf der Tagesordnung. Bevor diese jedoch einstimmig beschlossen werden konnte, entstand zuvor im Saal eine angeregte Diskussion. Mit deutlichen Widerworten zu einem der etlichen Änderungsanträgen aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zum Gesetzesentwurf des EDIR, einem Omnibus des allseits beliebten und zugleich allseits nervös machenden Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), wurde sich über die Idee Jens Spahns erneut beschwert und dagegen protestiert. Alle Mitglieder des G-BA und insbesondere die unparteiischen kritisierten Spahns Vorgehen, einen zweiten Versuch hinsichtlich eines Mitspracherechts des BMG bei Bewertungsverfahren neuer Leistungen zu starten.

Jeden dritten Donnerstag im Monat können Gäste an öffentlichen Sitzungen des G-BA teilnehmen. Anmeldungen werden ca. 20 Tage vor der Sitzung auf der Website des G-BA freigeschaltet, die Plätze sind begrenzt. Die nächsten Termine inkl. deren Tagesordnungen findet ihr hier.

Berlin – Der Gesetzesentwurf für das Implantateregister-Errichtungsgesetz (EDIR): in einem EDIR-Änderungsantrag aus dem BMG taucht der Vorschlag auf, die Methodenbewertung des G-BA zu beschleunigen.

An dieser Idee, die der Gesundheitsminister mit seinen Änderungsanträgen und Forderungen gegenüber des G-BAs hat, ist grundsätzlich nicht viel zu beanstanden. Eine Beschleunigung der Verfahren zur Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) für die Regelversorgung würde vor allem einer, und zwar der wichtigsten Gruppe im Gesundheitswesen sehr viel helfen: Die Patienten würde schnelleren Zugang zu guter (zur besten) Medizin erhalten. Diese Gruppe gilt es dabei allerdings gleichzeitig ausreichend zu schützen. Denn:

NUB sind neue Therapiemethoden, die (noch) nicht in die Gesetzliche Krankenversicherung eingeführt sind. Nach § 135 SGB V überprüft der G-BA diese Methoden hinsichtlich verschiedener Kriterien (z. B. Nutzen für Patienten, medizinische Notwendigkeit, Wirtschaftlichkeit)

Kann ein Gesundheitsminister, also ein Politiker, unter verschiedenen neuen Leistungen unterscheiden, welche den Patienten helfen und welche unnütz oder gar schädlich sind? Kann er dies außerdem vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V: ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich, Maß des Notwendigen nicht überschreiten)? Und kann er dies auch, ohne Anliegen von etwaigen Lobbygruppen zu berücksichtigen, die dann durch Druckausübung bestimmte Behandlungsmethoden ins System bringen könnten?

Für Gesprächsstoff wird ausreichend gesorgt.

Für seinem ersten Anlauf, dem BMG Mitspracherecht bei Entscheidungen über neue Kassenleistungen zu erteilen und somit quasi die Aufgaben des G-BA zu übernehmen, erzeugte und nutzte er die Berichterstattungswelle der Thematik rund um die Lipsuktion bei Lipödem im Januar 2019. In seiner, von externen Anregungen und Aufmerksamkeit erzeugenden Aktivitäten (u. a. durch Hashtag Gesundheit-Mitglied Hendrikje) geleiteten impulsiven und absoluten Reaktion, eingefahrene Abläufe abzuschaffen und selbst zu übernehmen, übte Spahn zumindest wesentlichen und spürbaren Druck auf die entsprechenden Parteien aus. Dass die Forderung in seinem Wortlaut nicht durchgesetzt werden wird, ist zu diesem Zeitpunkt zweitrangig: denn Spahn spricht und packt an, traut sich Themen zu hinterfragen, die in seinen zugespitzten Formulierungen immerhin zunächst für ausreichend Gesprächsstoff und Bewegung im Gesundheitswesen sorgen.

Im zweiten Anlauf, stringentere zeitliche Regelungen für die Verfahren des G-BA zur Methodenbewertung gesetzlich festzumachen, bedient sich Spahn jetzt dem Gesetzesentwurf zum EDIR. In diesem Gesetz soll die Regelung enthalten sein, dass, falls der G-BA künftig nicht innerhalb von zwei Jahren eine mögliche Kassenleistung bewerten konnte, in diesem Falle das BMG diese Entscheidung übernehmen werde. Zwar hatte ich und, wie meine Beobachtungen schließen lassen, auch die Beteiligten am 21. Februar 2019 im Plenumssaal des G-BA bisher gedacht, dass derartige Ideen bzgl. der Übernahme von G-BA-Aufgaben durch das BMG vom Tisch seien. Dem ist offensichtlich nicht so.

Die erneute Aufnahme seiner Idee in ein Gesetzgebungsverfahren, welches sich in der parlamentarischen Endphase befindet und bereits zum 1. April 2019 in Kraft treten soll (!!!), macht Spahns Vorschlag nicht besser, nur weil er ihn an anderer Stelle einfügt. Außer Frage steht, dass die Entscheidungen des G-BA künftig viel schneller getroffen werden sollten und eine Fristenregelung daher zu begrüßen ist. Spahn will dies unter Druck eines Ministererlasses durchsetzen, wodurch der G-BA zu Bewertungsentscheidungen innerhalb einer zweijahres-Frist (statt bisher drei) gezwungen wird. Wird diese Frist nicht eingehalten, dürfe andernfalls das BMG per Rechtsverordnung über neue Leistungen in der Regelversorgung entscheiden. Und dies ohne eine (abgeschlossene) evidenzbasierte Nutzenbewertung!? Der G-BA ist dafür um einiges besser geeignet, zwar ziemlich langsam (und für Spahn zu langsam), aber kompetent und interdisziplinär aufgestellt: K(Z)BV, DKG und GKV-SV bilden die vier Beteiligten der Beratungen, bei denen sie konsequent von Patientenvertreter*innen antragsberechtigt begleitet werden. ­­­Besonders die Aspekte Patientensicherheit sowie Bezahlbarkeit des Systems werden in Spahns Idee ignoriert. Durch diese Regelungen erhalten Interessen von Lobbyisten Eingang in das Gesundheitssystem, die beispielsweise durch Druckausübung bestimmte Behandlungsmethoden einführen lassen könnten, die im Zweifel weder dem Patienten nützt oder gar schadet, noch dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprächen. Dies würde in letzter Konsequenz auch die GKV-Seite betreffen, da Beitragssatzsteigerungen vorprogrammiert wären.

Fazit

Seinem ursprünglichen und eigentlichen (ja wirklich?) Anliegen und Ziel, die Liposuktion bei Lipödem als neue Behandlung in die Regelversorgung einzuführen und diese somit von Krankenkassen bezahlen zu lassen, ist Spahn allerdings einen deutlichen Schritt näher gekommen: denn der G-BA hat in seiner öffentlichen Sitzung am 21. Februar 2019 die Wiederaufnahme der Bewertungsverfahren beschlossen und ist somit einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung qualitätsorientierte und evidenzbasierte Gesundheitsversorgung in Deutschland gegangen.

EDIR: „Damit wissen wir, wer wann wem etwas eingebaut hat. Wenn wir Mängel an einem Produkt feststellen, wollen wir schnell abfragen können, ob es ähnliche Fälle noch woanders gegeben hat. Und wir können dadurch die Patienten schnell warnen.“ – Jens Spahn

Ich studiere Management und Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen in Berlin. Nebenbei arbeite ich bei einem Kassenverband auf Bundesebene im Bereich Selektivverträge für die ambulante ärztliche Versorgung. Dadurch erhalte ich interessante Einblicke in die praktische Arbeit eines Kassenverbands auf Bundesebene. Themen wie Gesundheitssystementwicklung und Versorgungsforschung auch unter Berücksichtigung internationaler Best Practices machen es für mich spannend, sich mit unserem Gesundheitswesen über alle Sektoren hinweg zu beschäftigen. Mein Interessenschwerpunkt liegt dabei in der Konzeption, Implementierung und Evaluierung neuer Versorgungsmodelle

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