Hürden überwinden: Soziale Ungleichheit in der Praxis

Wie ich die erste Hürde der Projektarbeit überwand

Seit November 2019 bin ich Projektkoordinatorin für ein kassenübergreifend gefördertes Projekt nach § 20a SGB V  – kurz gesagt ein Gesundheitsförderungsprojekt im Quartier. Als frische Master-Absolventin eingestellt, ging ich hoch-motiviert an den Start, doch die Luft wurde mir schnell aus den Segeln genommen. In dieser Blog-Reihe möchte ich Euch Einblicke in die Arbeit einer jungen Projektkoordinatorin geben. Ich schreibe über Hürden und Probleme, die mir entgegen kommen oder auch entgegen gestellt werden; über Erfolge und Momenten, in denen einfach alles stimmt. Dabei leitet mich Frage „Welche Ansprüche darf ich an mich und an die Projektarbeit haben?“.

Das Projekt

Ich unterbrach meinen Urlaub für das Vorstellungsgespräch und zog Hals über Kopf von Berlin zurück nach NRW, wo ich aufwuchs. Mit dem Arbeitsbeginn war ich voller Elan und voller Ideen. Mein Projekt ist angegliedert an ein Arbeitslosenzentrum (das ist ein Begegnung- und Beratungszentrum für erwerbslose/bedürftige Menschen) und wird aus einem Fördertopf der gesetzlichen Krankenkassen-/verbände NRW für drei Jahre gefördert. Die Zielgruppe meines Projektes sind erwerblose Personen, Menschen mit Leistungsbezug und in prekären Lebenslagen. Es geht darum gesundheitsförderliche Strukturen im Quartier aufzubauen, indem bspw. Maßnahmen in den Bereichen Ernährung, Bewegung Stressabbau etabliert und Multiplikator*innen geschult werden.

Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit oder vielmehr Krankheit, ist vielfach wissenschaftlich belegt. Einzig und allein die Frage „Was war zuerst da, die Krankheit oder die Arbeitslosigkeit?“ lässt sich diskutieren. Menschen in prekären Lebenslagen gelten als „die Unerreichbaren“. Ihre Ressourcen und Bündeln aus Problemen sorgen dafür, dass sie oft nicht präsenter, geschweige denn aktiver Teil eines Quartieres sind.

Hürde Nr. 1: Die Projekt-Zielgruppe für sich gewinnen

Der Zugang zur Zielgruppe ist schwer – für das Gelingen eines Projektes allerdings unabdingbar. Durch den Projektträger sollte mir die Tür zur Zielgruppe geöffnet sein, oder zu mindestens nicht verschlossen. Viele der Besucher*innen kommen regelmäßig und seit Jahren. Es gibt günstig und gutes Essen, einen warmen Aufenthaltsort, Zeitungen und Gleichgesinnte. Die Menschen also dort zu erreichen, wo sie freiwillig und gerne hinkommen  – soweit der Plan. In den ersten Wochen begriff ich allerdings schnell, dass die Herausforderungen des Projektes nicht nur in der Suche nach passenden Räumlichkeiten, Kursleitungen und Multiplikator*innen liegen, sondern vor allem im Erreichen der Zielgruppe.

Es ist nicht so, dass ich mich selber nicht als geeignet für diese Stelle empfinde – im Gegenteil. Ich komme aus Gelsenkirchen, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit waren für mich immer präsent. In meinem Studium lernte ich unter anderem soziologische Erklärungsansätze dafür. Als Ehrenamtliche war ich lange bei der Tafel tätig, der Umgang mit vulnerablen Personengruppen ist mir auch aus meiner Tätigkeit als Referentin beim Kinderhospizverein bekannt. Das alles sieht man mir aber wahrscheinlich nicht an. Was man aber sieht: Jetzt kommt da so eine junge Frau in eine bestehende und etablierte Institution und will Dinge anstoßen, ja vielleicht sogar verändern. In den ersten Wochen meiner Arbeit wurde mir von den Besucher*innen täglich die Frage gestellt, ob ich ein Schulpraktikum mache. Als ich dann allerdings nach Wochen immer noch da war, kam die Frage wie lange ich denn noch bleiben würde und, ob ich Sekretärin in Probezeit sei. Da musste ich einerseits schlucken und lachen. Das Ganze zeigte mir aber auch, dass ich mir meine Stellung und vor allem das Vertrauen der Leute hart erarbeiten muss. Im Laufe des Projektes möchte ich genau für diese Menschen Präventionsangebote anbieten, maßgeschneitert auf ihre Wünsche und Bedürfnisse. Ich überlegte, ob ich an meinem Äußeren arbeiten sollte, offizieller in Erscheinung treten oder so… Ich möchte aber den Menschen auf Augenhöhe begegnen, mich nicht verkleiden, sondern ihr Vertrauen gewinnen, indem diese merken, „die will mir ja was Gutes“.

Es liegt nicht an Dir, es liegt an…

Natürlich könnte ich auch meine Erwartungshaltung reflektieren – oh Wunder, die Leute empfangen mich nicht mit offenen Armen und schreien nach Präventionskursen. Was hatte ich denn erwartet? (Vielleicht, dass alle so sehr wie ich auf gratis Yoga stehen…) Ich glaube, das Problem bin nicht ich bzw. meine Person (ich kann es mir zumindest gut einreden). Es ist vielmehr meine Rolle, das wofür ich in dem Moment stehe: Veränderung, ein Bewusstseinswandel für die eigene Gesundheit, der eintreten muss, damit sich etwas ändert am Kreislauf zwischen prekären Lebensverhältnissen und schlechter Gesundheit.

Nach einem halben Jahr kann ich sagen, es braucht Zeit, Geduld und Mut. Die persönliche Ansprache ist das A und O. Immerzu auf die Menschen zugehen, das Gespräch suchen, egal ob über Gesundheit, Fußball oder das Wetter. Kommunikation ist wie in Beziehungen und innerhalb der Familie also auch in der Projektarbeit das Zauberwort. Den Praktikantinnen-Status habe ich so zum Glück von mir schlagen können

Im nächsten Artikel berichte ich Euch über die Hürden, die durch die Corona Pandemie im Projekt entstehen und wie ich dem Druck und den Anforderungen des Trägers, der Fördergeldgeber und meinen eigenen versuche gerecht zu werden.

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Justine Krause

Seit Ende 2019 bin ich Projektkoordinatorin für ein Krankenkassen gefördertes Präventionsprojekt mit der Zielgruppe benachteiligter Menschen. 2019 habe ich einen interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Master an der TU Braunschweig abgelegt, zuvor studierter ich Soziologie in Bielefeld und Salzburg. Mein Schwerpunkthema ist „soziale Ungleichheit und Gesundheit“. Meine Master Arbeit schrieb ich zum Thema „Policy Analyse zur Gesundheitsversorgung von Geflüchteten“. In meiner Freizeit bin ehrenamtlich bei der Seebrücke Bewegung in tätig. Wir setzen uns für die Entkriminalisierung von Seenotrettung ein.

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Justine Krause
    15. Juli 2020 11:24

    Lieber Andreas,
    danke für deinen Kommentar.
    Ja, die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist komplex und schwierig. Fehlende Möglichkeiten der Anstellung für bestimmte “überqualifizierte” Arbeitnehmer*innen in der heutigen Zeit sind ein Problem und kann definitiv Arbeitslosigkeit und damit einhergehende schlechte Gesundheit mit sich bringen.
    Worauf ich in diesem Artikel anspiele bezieht sich aber viel mehr auf die soziale Herkunft der Menschen. Studien zeigen, dass Personen, die einen niedrigen sozialen Staus haben auch eine wesentliche schlechtere Gesundheit aufweisen. Wenn meine “Herkunft” oder meine Startbedingungen auf meinen Bildungsweg also schon von Anfang an schlechter waren (“Arbeiterkind”, geringes monetäres oder soziale Ressourcen in der Familie, usw.), dann ist die Chance hoch, dass ich keinen “erfolgreichen” Bildungsweg hinter mich bringe. Das wiederum bedeutet aus unterschiedlichen Gründen, dass ich weniger Gesundheitskompetenzen habe und meine Gesundheit im Allgemeinen schlechter ist, als im Vergleich zu privilegierten Menschen (,die z.B. aus einer Familie kommen, in der alle studiert haben).

    Ein komplexes Thema- vielleicht für einen eigenen Artikel geeigneter 😉

    Liebe Grüße
    Justine

    Antworten
  • Andreas Wittwer
    14. Juli 2020 11:49

    Hallo Julia, die Frage, was war zuerst da? Hier möchte ich aus eigener Erfahrung antworten. In den Unternehmen in Deutschland haben wir seit Jahren den Fakt fehlender Fachkräfte, es fehlt an gezielter Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter über Jahre hinweg. Die Personalverantwortlichen und Recruiter suchen nach der eierlegenden Wollmichsau, bis 30 Jahre alt, mit Erfahrungen von 30 Jahren, die Anforderungen sollten erfüllt werden. Wenn Du Menschen mit Handicap 50plus sich bewerben, dann fallen sie durch das Raster, weil zudem “überqualifiziert”, zu teuer und vermutlich unflexibel! Was folgt Langzeitarbeitslosigkeit, Hartz IV, Frust, Angst und Krankheit.

    Ich habe es gepackt, ein “Start up” ohne eigene Innovation gegründet. Hilfe bekam ich aus NRW, nicht bei mir in Würzburg, siehe AAL-Akademie und Robotik-Pflege, heute helfe ich deutschen und finnischen Start ups für Gesundheit, Medizin und Pflege auf den beschwerlichen Weg, so wie Hashtag-Gesundheit.

    Antworten

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