Blogbeitrag

Innovationen sind dem aktuellen Bundesgesundheitsminister offenbar sehr wichtig. “Ich möchte, dass Innovationen auch aus Deutschland kommen – wir müssen jetzt den Turbo einschalten”, sagte Jens Spahn kürzlich beim Sommerfest des Wirtschaftsrats Berlin-Brandenburg. Unter dem Titel “Innovation trifft Politik” hat das Bundesgesundheitsministerium gar eine eigene Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen und einen “health innovation hub” geschaffen. Aber was sind das eigentlich, Innovationen? Und warum werden sie ausgerechnet jetzt zur gesundheitspolitischen Priorität erhoben?

Innovation = Erfindung + Markterfolg

Um es vorwegzunehmen: eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition für “Innovation” gibt es nicht. Mal handelt es sich um ein sehr enges Verständnis, das nur tiefgreifende Umwälzungen ganzer Gesellschaftsordnungen oder Wirtschaftssysteme einschließt. Beispielsweise die Erfindung des Buchdrucks oder die Entstehung von Aktienbörsen. In unserem Alltagsgebrauch hingegen reicht der Innovationsbegriff deutlich weiter. Getrieben von PR- und Marketingabteilungen werden selbst Rasierer einer “Ära der Rasurinnovation” unterworfen und kommen mit zwei, drei oder mehr Klingen, Hautschutz, schwenkbaren Rasierköpfen und wahlweise kühlend oder beheizt daher… Wow!

Gemein ist diesen Beispielen, dass es sich um relativ neue Ideen und deren Umsetzung handelt. Die Neuerung – Innovation stammt vom lateinischen Verb innovare (erneuern) – entspringt der zufälligen Entdeckung zuvor unbekannter Zusammenhänge, der Um- oder Neudefinition von Konzepten, der Neuverbindung vorhandener Eigenschaften oder deren Verbesserung. Wirtschaftlich betrachtet reicht eine reine Erfindung (invention) allein jedoch nicht aus, sondern diese muss sich auch auf dem Markt durchsetzen. Nach der ursprünglichen Definition des österreichischen Ökonoms Josef Schumpeters bedeutet Innovation Erfindung plus Markterfolg.

Schokopizza vs. CRISPR/Cas9

In diesem Sinne könnte bei entsprechenden Verkaufszahlen eine Schokopizza als Innovation gelten. Die “Genschere” CRISPR/Cas9 hingegen ließe sich streng genommen nicht als solche bezeichnen, da aufgrund der Neuartigkeit der Technologie noch kein Markt existiert, auf dem sie sich durchsetzen könnte. Hier wird eine wichtige Limitation des Innovationsbegriffs deutlich: Denn dieser vermag per se nicht die Reichweite und Qualität der gesellschaftlichen Veränderungen zu bewerten, die durch eine technische oder soziale Neuerung ausgelöst werden und die häufig nur in historischer Perspektive zu erkennen sind.

Eine vielversprechende Entwicklung zu verpassen und Gestaltungspotential einzubüßen – sozusagen politische FOMO (fear of missing out) – scheint eine wichtige Triebfeder der Bundesregierung. Betont wird die Notwendigkeit eines eigenen europäischen Wegs in Abgrenzung zu unternehmenszentriertem Datenkapitalismus der USA und staatlichen Kontrollmechanismen in China. Der Widerspruch zwischen vermeintlich notwendiger Geschwindigkeit, um Entwicklungen nicht hinterherzulaufen, und parlamentarischer Debatte und Kontrollfunktion des Bundestags ist bisher allerdings ungelöst.

Der politische Fokus auf das deutsche Gesundheitswesen kann angesichts der Beschäftigtenzahlen von 5,6 Millionen Menschen, der wirtschaftlichen Potentiale des demografischen Wandels und der selbstverschuldeten Imagekrise der deutschen Automobilbranche als Leitbranche kaum überraschen. Auch Ambitionen Jens Spahns auf eine Kanzlerkandidatur und seine persönlichen Präferenzen dürften eine Rolle spielen. Als Staatssekretär im Finanzministerium hatte er Technologie-Investoren empfangen und war finanziell an einem Startup beteiligt.

Bleibt zu hoffen, dass die politischen Institutionen bei den Rahmenbedingungen für Innovationen nicht nur ihr Zustandekommen, sondern auch ihre gesellschaftlichen Auswirkungen im Blick behalten.

Habt ihr weitere Beispiele für kuriose (Schein-)Innovationen oder aktuelle revolutionäre Neuerungen? Teilt diese in den Kommentaren!

Benedikt Backhaus

30 Jahre alt und lebt in Berlin

Ich arbeite im Hauptstadtbüro der DAK-Gesundheit und unterstütze gesundheitspolitische Positionierung und Analyse. Zuvor habe ich bei Miller und Meier Consulting Unternehmen und Verbände in strategischen und regulatorischen Fragen beraten.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Veronika Backhaus
    2. Oktober 2019 08:58

    Danke für die Informationen. Sie helfen Entwicklungen, die im Land angestrengt werden einzuordnen zu können und als mündiger Bundesbürger kompetent informiert zu sein. Vielen Dank. Veronika Backhaus

    Antworten

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