Es ist 13:30 Uhr, ich komme durch den Seiteneingang. Heute beginnt der siebte Dienst in einer Woche ohne einen freien Tag. Die letzten Arbeitstage zusammengefasst: Anstrengend.
Viele Aufnahmen, viele Ambulanzen und viel Frust seitens der Patienteneltern, aber auch unsererseits. Ich laufe den etwa 200m langen, bunt angemalten Flur entlang. Am Spielzimmer vorbeikommend winke ich Eva, unserer Erzieherin, zu. Viele Kinder sind heute am Spielen, Malen und Lachen. Die kränkeren oder infektiösen Patienten können leider nicht mitmachen. Noch nicht.
Wir, die Ärzte und die Pflege, versuchen nämlich den kleinen Patienten zu helfen und sie zu heilen. Ich selbst gehöre zur Pflege. Ich bin aber keine examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Kinderkrankenschwester. Ich bin Pflegehelferin und gehöre nun seit fast fünf Jahren zum Team der Station X.
Plötzlich rennt mir ein vierjähriger Junge vor die Füße. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht rennt er vor seiner Mutter weg. Seine Hand ist mit einem Verband gewickelt. Es ist keine verbundene Wunde, ich kann den roten Stöpsel an der Verlängerungsleitung sehen und ich weiß, dass es eine Braunüle ist.
Meine Kollegin kommt aus einem der zwei Aufnahmezimmer mit Blutröhrchen heraus und wirkt gestresst. Als sie mich sieht, schüttelt sie mit dem Kopf und fragt: „Hast du schon wieder Dienst?“ Ich zucke mit den Schultern und erkläre, dass ich für Kollegin Y, die sich krankgemeldet hat, einspringe. „Und die nächste Kranke! Hier geht bald alles den Bach runter! Mein Blutdruck!“ Ich lächle und nicke, weil ich das in den letzten Jahren schon ein paar Mal gehört habe.
Im Stützpunkt der Pflege herrscht reger Betrieb. Meine Kollegen sind fleißig am Dokumentieren und wirken erschöpft vom Dienst. Ich betrachte die Tafel mit der Patientenübersicht und sehe, dass 30 der insgesamt 40 Betten belegt sind.
Wie seit ein paar Jahren üblich sind leider nur zwei examinierte Pflegekräfte für die drei Bereiche verantwortlich. Eine Kollegin übernimmt den roten (Infektionen) und den gelben (Säuglinge), die andere den grünen (Patienten ab etwa drei Jahren) Bereich. Ohne eine dritte nichtexaminierte Pflegekraft, wie ich es bin, oder noch zwei weitere Kollegen, muss die grüne Schwester (und das hat nichts mit ihrer politischen Einstellung zu tun) zusätzlich die Notaufnahme übernehmen. Es ist schwierig sich vorzustellen, was das bedeutet, wenn man nicht mitten im Geschehen ist.
Die ideale Besetzung wäre in der Theorie: drei examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger für die jeweiligen Bereiche und eine Pflegekraft für die Notaufnahme. So läuft es aber leider in der Praxis nicht. Als Mutter oder Vater eines kranken Säuglings muss man eventuell drei bis vier Stunden auf eine stationäre Aufnahme warten. Und dabei geht es nicht um einen kleinen Kratzer. Nein, dass etwa sechs Wochen alte Baby hat seit Tagen weniger getrunken und mittlerweile nimmt es gar nichts mehr zu sich. Es hat mehrmals Durchfall gehabt und zudem noch Fieber. Wenn ich als Erwachsene krank bin, empfinde ich es schon als schlimm, aber für einen Säugling von sechs Wochen kann es kritisch werden.
Stell dir vor, dein Kind glüht vor Fieber, bewegt sich kaum noch vor Erschöpfung und braucht zügig eine Behandlung und dir als Mutter oder Vater wird gesagt, dass es noch dauern wird, weil noch vier andere Kinder in der Warteschlange hängen. Welche Verzweiflung, aber auch Wut den Pflegern gegenüber empfindest du da?
Und ich lasse bewusst die Ärzte dabei raus. Ganz oft ist leider die Pflege der Buhmann. Aber was machen die Kollegen während diese Eltern stundenlang auf eine Blutentnahme, Therapie oder ein Zimmer warten? Währenddessen pflegen sie die vielen anderen kleinen Patienten in ihren Bereichen so schnell und knapp wie möglich, um in die nächste Aufnahme zu rennen und das nächste Kind stationär aufzunehmen. Oder Eltern/Patienten klingeln, weil es den Kleinen oder ihnen schlecht geht, sie alleine nicht auf Toilette gehen können oder die Kleinen den nächsten Sättigungsabfall, trotz zwei Liter Sauerstoff, haben. Natürlich wird diese Notfallklingel auch für Banalitäten gebraucht, die uns an solchen stressigen Tagen zur Weißglut bringen.
Trotz des anstrengenden Dienstes lachen auf einmal die Kollegen laut auf. Ein Arztkollege kommt mit blutbespritzter Arbeitshose zum Stützpunkt und umarmt unsere Stationssekretärin ganz herzlich, die sich lachend und angewidert versucht aus der Umarmung zu retten.
Ohne dieses tolle Team würde es wahrscheinlich wirklich den Bach runter gehen, aber durch den Humor, die Liebe zur Arbeit und zu den Kindern geht es weiter.
Ich gehe mich für den Dienst umziehen und nehme nicht mehr den weißen Kasack. Heute wird es Hello Kitty, damit die Kinder etwas zum Lächeln haben, ich mich aber auch durch die bunten Farben besser fühle. Als ich die Umkleide verlasse, sehe ich, dass ein Zimmer rot aufblinkt, es also klingelt. Ich gehe für meine Kollegin rein und gucke nach dem Elternteil, das geklingelt hat. Die Mutter liegt entspannt auf ihrer Liege, während ihr Kind ruhig schläft.
Sie hält eine Tasse in der Hand und sagt: „Bringen Sie mir Kaffee.“ Ich halte kurz inne und hätte fast ironisch mit: „Klar! Mit Milch und Zucker?“ geantwortet. Aber ich lasse es. Das gibt gleich nur eine Beschwerde seitens der Mutter und ich muss mich dafür rechtfertigen, warum ich so frech sei.
Stattdessen lächle ich und sage ihr höflich, wo es Kaffee gibt. Ich schließe die Tür, atme tief durch und beginne meinen Dienst.
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Hut ab vor Leuten, den diesen großherzigen Beruf ausüben und täglich Stresssituationen erleben und zu oft Überstunden machen müssen. Meine Schwägerin arbeitete 25 Jahre lang als Kinderkrankenschwester. Es tut mir leid zu lesen, dass es auch in diesem Fall Mängel an dieser professionellen Figur gibt.