Ist Humor im Zusammenhang mit Krankheit fehlplatziert? Oder braucht es gerade im Gesundheitswesen mehr Grund, um zu lachen? Katja Stenzel hat sich nicht nur grundsätzlich mit diesem Spannungsfeld auseinandergesetzt, sondern auch beispielhaft Zeitschriften, wie die von Dr. Wimmer rezensiert.
Humor als Zugangsmedium in Gesundheit, Medizin und Pflege | Rezension der Zeitschrift Dr. Wimmer [Heft 1, Frühjahr 2018]
„Kennen Sie den besten Rat gegen Bienenstiche? Lassen Sie sich einfach nicht von der Biene stechen.“
Zugegebenermaßen, diesen Tipp des Hausarztes meiner Familie in einer mittelfränkischen Kleinstadt findet man eher weniger lustig, wenn man dank eines verlorenen Kleinkriegs um sein Stracciatella-Eis gerade die Schulferien mit Infusion im Krankenhaus verbringen durfte. An einen alteingesessenen, bei leicht niedrigem Blutdruck ein Gläschen Sekt am Morgen verschreibenden Hausarzt, dessen neuester Witz anlässlich der aktuellen Grippewelle quer durch den Gang zur medizinischen Fachangestellten schallt, werden wohl viele denken, wenn sie sich den Prototyp eines deutschen Hausarztes vorstellen. Und irgendwo macht, neben der fachlichen Expertise, gerade in der Allgemeinmedizin, wo neben der Erkennung möglicherweise ernsthafter medizinischer Indikationen auch die Geringfügigkeiten von Klein und Groß mit Gespür kuriert werden müssen, der Humor, im richtigen Maß in Kombination mit Feingefühl eingesetzt, auch die Kompetenz eines Arztes mit aus. Ohne würde der Hausarzt den allmontaglichen Ansturm auf sein Wartezimmer wohl auch gar nicht überstehen.
Einige Jahre später konnte ich selbst als Praktikantin in der Pflege über Videos wie 10 Dinge, die eine Pflegekraft nicht sagt herzlich lachen und Situationen wiedererkennen. Die Accounts vieler der Pflegekräfte, die humorvollen, satirischen Content wie diesen in Social Media produzieren, klicke ich bis heute im Studium (Anm.: Gesundheitsökonomie) gerne an. Sie greifen neben der Produktion dieser Videos auch ernsthafte Themen auf und machen auf sie aufmerksam; die Sichtweise und Standpunkte der Pflegekräfte finde ich immer wieder sehr interessant. Beiträge wie diese lösten jedoch teilweise auch ziemliche shitstorms aus, ob Pflegekräfte, die sich über ihre Patienten pikieren, nicht den falschen Beruf gewählt hätten.
Es scheint aktuell ein sehr sensibles Thema zu sein, inwieweit dem Feld Gesundheit, Medizin oder Pflege und auch ernsthafteren Themen in diesem Bereich mit Humor begegnet werden darf.
„Ob man seinem Hund eigentlich den Hintern abwischen muss, bevor man ihn abends zum Kuscheln mit ins Bett nimmt. […] Diese Frage hat definitiv ihre Berechtigung!“ – Dr. med. Johannes Wimmer
Von Humor als Zugangsmittel seiner Mission, fundiertes, von Mythen befreites medizinisches Wissen in die breite Bevölkerung zu tragen, schreibt auch Dr. med. Johannes Wimmer im Editorial der ersten Ausgabe seiner Zeitschrift Dr. Wimmer. Auch ein Post dieser Zeitschrift in Social Media von #Gesundheit löste ziemlichen Traffic – positiv wie negativ – aus. Als ich die Printausgabe von einem Kommilitonen bekam, hatte ich gerade Nachklausurenphase, für die mir meine Mutter ihren Super-Geheimtipp zum Entspannen, einige Exemplare des Lesezirkels, den sie immer von unserer Nachbarin aus zweiter Hand bekommt, in den Kofferraum gepackt hatte. Die Zeitschrift landete daheim also auf meinem Tisch … und fiel dort für Besuch auf den ersten Blick gar nicht weiter auf.
Der Aufbau der perfekten Frauenzeitschrift besteht ja bekanntlich aus Artikeln zum Thema Liebe dich so wie du bist auf Seite 1-10, Wie du 5 kg in 5 Wochen verlierst auf Seite 11-20 und leckeren Kuchenrezepten auf Seite 21-30. Folgend erinnert auch das Layout Dr. Wimmers quer durch alle gängigen Frauenzeitschriften deutscher Arztpraxen-Wartezimmer, Friseursalons und Teenagerzeitschriften zur pubertären Aufklärung.
So finden sich neben einer Doppelseite der aktuellen Gadget-Trends [vgl. S. 6f.] (auf der nächsten Doppelseite vermisste mein Teenager-Vergangenheits-Ich die Tops und Flops der neuesten Klinik-Looks) und anderen News ernsthafte aktuell problematische Themen der Gesundheitsbranche. Diese assoziieren mit wissenschaftlichen Reportagen [vgl. Kuck mal, wer da krabbelt S. 8-13 und Emergency im Room S. 36-43], aber auch persönlich-emotionsbasierten Reportagen, erinnernd an den Prototyp einer in weißer Baumwollbluse durch die norddeutschen Dünen flanierenden Mittvierzigerin nebst ihrem Patentzitat für eine erfüllte Lebensführung [vgl. Winterblues oder Depression S. 24-27 und Wahre Helden S. 46-51].
Abweichend ist allerdings der Inhalt, mit dem dieses Layout gefüllt ist. Im Gegensatz zu teilweise fragwürdigen Tipps zu gesunder Lebensführung und Ernährung, gespickt mit Informationen über mehr oder weniger bekannte deutsche oder monarchische Prominenz, finden sich fundierte, aber dennoch auch für die breite Bevölkerung verständliche Ausführungen gesundheitlicher und medizinischer Themenbereiche. Das Spektrum reicht dabei von für die breite Bevölkerung relevanten Themen wie Schilddrüsenerkrankungen und -beschwerden, Alkoholkonsum, der Bedeutung der Werte im Blutbild und dem Intimleben bis zu gesundheitspolitischen Fragestellungen wie der Situation in den Notaufnahmen oder in der Pflege. Dr. Wimmer beschränkt sich zusätzlich nicht auf den primären Gesundheitsmarkt, sondern greift auch Themen wie Prävention, Ernährung, Yoga und Meditation auf. (Auch wenn ich als Läuferin ein wenig die Runner’s World nachdesignte Doppelseite mit sportmedizinischem Fakten entgegen den gängigen Mythen vermisste.) Abgerundet wird die Lektüre der typischen Frauenzeitschrift, nur auf den ersten Blick, gemäß Patentrezept mit den leckeren Kuch…, Rezepten, die gesundheitlich so abgesegnet werden können (es ruft weder der Hungerstoffwechsel noch Diabetes). Der Schreibstil entspricht wiederum dem der gängigen Frauenzeitschriften und vermittelt so auch komplexere medizinische Sachverhalte für die breite Bevölkerung leicht verständlich. Die Zeitschrift an sich kann, neben über das Layout und den Schreibstil Assoziationen zu wecken und so einen Zugang zu den Themen zu schaffen, also auch als humorvolle Satire auf das teilweise fragwürdige Gesundheits- und Lebensführungswissen der Frauenzeitschriften interpretiert werden.
„Es gibt auch etwas zwischen Schwarzwaldklinik und K.W. Lauterbach.“
Empfehlen kann ich die Zeitschrift Dr. Wimmer jedem, der sich erstmal grundlegend mit aktuellen – in der breiten Bevölkerung relevanten, wie auch politischen – Gesundheitsthemen befassen möchte und an komplexeren Werken noch etwas verzweifelt. Persönlich würde ich die Zeitschrift auch Familie und Bekannten in die Hand drücken, die sich gerne anhand Krankenhaus- und Landarztserien im Fernsehen meinen Studiengang erklären; die Literaturliste meiner Professoren dürfte für sie dahingehend wohl doch etwas zu schwere Kost sein.
Doch auch aus meiner Sicht als junge Bachelorstudentin kann ich sagen, dass man im Bezug darauf, sich einen Überblick über aktuelle Themen in der Gesundheitsbranche zu verschaffen, zu Beginn des Studiums erst einmal vor einer ziemlich hohen Mauer steht. Mit Zeitschriften wie Dr. Wimmer (sehr empfehlen kann ich übrigens auch, sich einmal über die Studentenabonnements von Zeitungen zu informieren) fällt das leichter, als direkt die ergänzende Literaturliste der Professoren zu durchwälzen.
Bei Interesse ist die zweite Ausgabe von Dr. Wimmer übrigens gerade am Kiosk erhältlich. Mit einem Überblick, welche Themen generell interessieren würden, kann sich dann auf die Suche nach weiter differenzierten Fachquellen begeben werden. Am Beispiel der Zeitschrift Dr. Wimmer zeigt sich also, dass sich Humor und fundiertes Wissen nicht zwingend ausschließen müssen oder aber Humor oftmals auch die Zugangsbarrieren öffnen kann, sich tiefergreifend mit Themen zu beschäftigen.
„Ich freue mich immer total, wenn in meiner Frühstückspause permanent die Notfallklingel läutet, damit ich den mobilen Patienten ihre Kaffees bringe.“
Neben dem Arzt erfüllt auch die Pflege als zweite große Berufsgruppe im Gesundheitswesen eine besonders spitzfindige Art von Humor. Hieraus ergibt sich unweigerlich die Frage, ob eine Berufsgruppe, die aktuell um ihre Anerkennung im Gesundheitswesen und in der Bevölkerung kämpft, für die fachlich und menschlich anspruchsvolle Arbeit, die sie leistet, ihrem Beruf nicht mit entsprechender Seriosität gegenübertreten sollte.
Inwieweit die Pflege dabei ihr Image auch selbst beeinflusst, löste #twitternwierueddel eine weitere Diskussionswelle aus. Dabei vertrat der CDU-Politiker Erwin Rüddel den Standpunkt, dass über die Missstände des Pflegeberufes sprechen das Image der Pflege nur weiter verschlechtern würde. Als Reaktion folgte insbesondere auf Twitter eine Welle an Beiträgen zahlreicher Pflegekräfte, die mit oftmals auch zynischem Humor auf die Missstände in ihrem Berufsalltag aufmerksam machten.
Doch inwiefern schrecken Beiträge in Social Media, die mit – auch mal zynischem – Humor ein realistisches Bild vermitteln und über Berufsalltag und -bedingungen aufklären sollen, junge Menschen ab, sich für einen Beruf in der Pflege zu interessieren? Gerade die lustigen Anekdoten über Patienten, die nach Blinddarm- und Mandeloperationen die Notfallklingel zum Wechseln des Fernsehprogramms brauchen. Oder deren Angehörige dank der umfassenden Pflegezusatzausbildung der Ahnenkunde direkt „die Essensunverträglichkeiten ihres Vaters“ in die Patientenakte dokumentiert bekommen. Auch Anekdoten, die ebenso gegenüber ernsten Themen den scharfzüngigen Sarkasmus wiederspiegeln, ohne den die Pflegekräfte vielleicht gar nicht entgegen aller Umstände Schicht für Schicht für die Bevölkerung wieder ihren Kasak überstreifen würden. Tragen sie nicht gerade zum Bild der Pflege der Mischung aus Humanität und urkomischem Scharfsinn und Spitzfindigkeit bei, die neben der Fachkompetenz für diesen Beruf so wichtig und für Pflegekräfte einzigartig ist? Humor sollte selbstverständlich immer in einem respektvollen Rahmen belassen werden; einen Beitrag, in dem sich eine Pflegekraft explizit über beispielsweise ihre onkologischen Patienten lustig macht, habe ich bisher jedoch noch nicht gefunden.
Informationsbereitstellung und Imagegestaltung des Pflegeberufs in Social Media: Informationen über Ausbildungsablauf und -inhalte versus humorvolle Einblicke in die Realität des Arbeitsalltags auf Station.
„Und wie bist du auf deinen Ausbildungsberuf gekommen?“ – „Ich lese in meiner Freizeit gerne den neuen Koalitionsvertrag und wählte die Berufsbranche, deren Zielsetzungen mir am besten gefielen.“
Natürlich darf auch eine sachliche und fundierte Aufklärung über Pflegeausbildung und -beruf nicht vernachlässigt werden. Auf der anderen Seite gilt es, erst Interesse zu schaffen, um Klicks auf die entsprechenden Seiten der Berufsinformationswebsites oder dass sich bei anderen Berufsinformationsangeboten über Pflegeberufe informiert wird zu generieren. Insofern muss also ausbalanciert werden, wie beides optimal ineinandergreifen und Hand in Hand arbeiten kann. Durchaus ist das nur ein Bruchteil des Bündels, mit dem sich im Bereich Image der Pflege oder Fachkräftegewinnung, insbesondere im Nachwuchsbereich, im Gesundheitswesen auseinandergesetzt werden muss.
Vielleicht sollte aber auch nicht zuletzt einfach einmal in die Kommentare humorvoller, satirischer Beiträge in sozialen Netzwerken gesehen werden, die zwar unter anderem auch über die negativen Seiten des Berufsalltags und der Rahmenbedingungen aufklären, vor allem aber hervorheben, was den Pflegeberuf im Kern der eigentlichen Tätigkeit trotz allem für sie zu einem erfüllenden Beruf macht. Die etlichen Diskussionskommentare einmal ausgeblendet und auf die vielen jungen Menschen geachtet werden, die interessiert Fragen über einen Beruf in Gesundheitswesen und Pflege stellen. In Social Media, einem der Hauptmedien der kommenden Generation Nachwuchskräfte, die gerade vor dem Beginn ihres beruflichen Werdegangs stehen, erreichen die Accounts große Reichweiten in der zielrelevanten Gruppe.
Mein persönliches Fazit ist, dass überhaupt erst einmal das Interesse und der Zugang für eine Berufsgruppe und ihr Tätigkeitsfeld geschaffen werden muss, fernab der aktuellen Entscheidungen des Bundestages, Bundesgesundheitsministeriums oder Bundesgesundheitsministers. Dass junge Menschen, wenn sie ein für sich spannendes Berufsfeld gefunden haben, bei ihrer Entscheidung jedoch auch auf vernünftige Rahmenbedingungen treffen sollten, ist ein anderes Thema.
Wie sind Eure Erfahrungen mit Humor im Gesundheitswesen – sei es im Beruf oder als Patient?
Habt ihr euch schon einmal in einer Situation mit einem gesundheitlichen Problem von medizinischem oder pflegerischem Personal nicht ernst genommen oder veralbert gefühlt? Oder hat eine humorvolle Umgangsart des medizinischen und pflegerischen Personals die Situation aufgelockert und entspannt?
Ich freue mich auf Eure Geschichten, Erfahrungen und Standpunkte in den Kommentaren.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] ernst zu nehmen? Und wer hat behauptet, dass Ironie und Humor im Krankenhaus verboten sind? (-> hier auf unserem Blog […]
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass, sowohl bei Pflegekräften, als auch bei Medizinern, Humor oft eine Verarbeitungsstrategie ist, um das erlebte nicht mit nach Hause nehmen zu müssen. Das mag für Außenstehende seltsam und manchmal vielleicht etwas despektierlich wirken, jedoch muss jeder, der täglich von kranken, leidenden und sterbenden Menschen umgeben ist, auch eigene Strategien der Selbstpflege entwickeln. Ich arbeite selbst in der Pflege und mir ist aufgefallen, dass oftmals der Grundsatz gilt: Je kränker die Patienten, desto schwärzer der Humor.