Wie Gesundheitssektor und Wissenschaft (endlich) professionell kommunizieren
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass in kürzester Zeit viele Informationen mit der Öffentlichkeit geteilt werden müssen, deren empirische Validität nur zum Teil gegeben ist. Allerdings gab es Fälle, in denen mit fortschreitender Dauer der Pandemie immer ungenauer kommuniziert wurde. Ein Appell für mehr professionelle Kommunikation in Gesundheitswesen und Wissenschaft.
Mit zunehmender Dauer der Covid-19-Krise wurde immer mehr Wert auf Meinungen statt auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gelegt. Es dominierten teilweise Experten, die auf dem Gebiet der Virologie bis dato nur nebensächlich in Erscheinung getreten sind und keinerlei Publikationen zu diesem Gebiet aufweisen können.
Dieser Umstand hinderte sie allerdings nicht daran, eine medial beachtliche Reichweite zu erzeugen, die in einigen Fällen so extrem war, dass fachlich fundierte Meinungen von Wissenschaftlern, die auf diesem Gebiet tatsächlich forschen, kaum noch Gehör fanden. Während sich die Öffentlichkeit freute, dass es vermeintlich zahlreiche Lehrmeinung gebe, die die Forschung rund um das Coronavirus beschleunigen, stellte sich dieser Umstand als Fehleinschätzung dar und es kam sogar zu handfesten Skandalen.
Heinsberg-Protokoll und US-Studien
Während bereits im April in Deutschland das Heinsberg-Protokoll für großen Wirbel sorgte, weil hier Studienergebnisse suggeriert wurden, die maximal als Zwischenfazit taugten, hat sich auf globaler akademischer Ebene nun ein weitaus schwerwiegenderer Skandal in der Wissenschaftskommunikation abgezeichnet: Vor ein paar Tagen stellte sich nämlich heraus, dass gleich zwei Beiträge zur Entwicklung einer COVID-19-Therapie trotz grober Fehler publiziert wurden – und das auch noch in den weltweit wichtigsten Medizinjournalen „New England Journal of Medicine“ und „The Lancet“. Auch Wissenschaftler und Ärzte u.a. von der renommierten Harvard Medical School sind an diesem Skandal beteiligt.
Was war passiert?
Zwei Studien, die den Einsatz der umstrittenen Malariamittel Hydroxychloroquin und Chloroquin bei Covid-19-Patienten, sowie von ACE-Hemmern betreffen, stellten sich im Nachhinein als unwissenschaftlich und unseriös heraus. Nachdem eine externe Begutachtung der verwendeten Patientendaten nicht möglich war, zogen die Autoren die Studien zurück. Die Firma, die alle Daten für die beiden Covid-19-Studien geliefert hatte, konnte oder wollte die angeforderten Originalunterlagen von mehr als 96.000 Patienten nicht bereitstellen. Bereits im Vorfeld zweifelten Forscher, ob diese Daten überhaupt erhoben wurden.
Wissenschafts-PR sollte keine billige Effekthascherei sein
Der Wissenschaftsbetrieb und die Gesundheitsbranche sind Felder, die von Haus aus sehr sensibel sind und von vielen PR-Profis, die in diesem Feld nicht zuhause sind, unterschätzt werden. Hier kann man kommunikativ sehr viele Fehler machen. Wie nicht nur die Covid-19-Pandemie gezeigt hat, sondern nun auch der Fall der medizinischen Journals, sollte es im Wissenschafts- und Gesundheitsbetrieb nicht darum gehen, möglichst schnell und effektreich Ergebnisse zu präsentieren, die de facto gar keine sind. Man sollte so kommunizieren, dass die Öffentlichkeit weiß, ob es sich um Zwischenergebnisse handelt und wie belastbar diese sind. Am Ende des Tages ist niemandem geholfen, wenn suggeriert wird, dass eine Studie noch gar nicht zu Ende geführt wurde, aber es bereits vermeintliche Ergebnisse gibt, die spätere Prozess wieder zurückgenommen werden müssen.
Social Media-Postings sind keine PR-Strategie
Viele Organisationen aus dem wissenschaftsnahen Bereich unterschätzen noch immer die Bedeutung von seriöser und guter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie glauben, Kommunikation ließe sich nebenbei – durch eine Praktikantin –erledigen.Dabei ist es sehr wichtig, dass die Worte und die Kommunikationsnuggets so aufbereitet werden, dass für die Öffentlichkeit wenige Fragen offenbleiben, aber auch, dass man sich argumentativ nicht in eine Sackgasse begibt und hinterher zurückrudern muss.
Die Gesundheits- und Wissenschafts-Branche müssen daher endlich die Bedeutung von PR-Arbeit verstehen und für sich nutzen. Es besteht zwar meist bereits ein gewisses Selbstverständnis dafür, nach außen zu kommunizieren. Jedoch wird ein guter Social-Media-Auftritt gerne mit einem strategischen Kommunikationskonzept verwechselt, so dass viele Informationen einfach nur in der Bubble stecken bleiben und somit keine Informationen nach außen dringen. Das Resultat ist, dass dann Verwunderung darüber herrscht, warum die Öffentlichkeit kein Verständnis für bestimmte Entwicklungen Innovationen oder Probleme aufweist.
Professionalisierung der Kommunikation
Ebenfalls wird häufig verwechselt, dass ein Kommunikationsberater nicht in erster Linie dafür da ist, Wissenschaftler in Medienkompetenz zu trainieren , damit dieser lernt, sich vor der Kamera besser zu artikulieren. Auch dies gehört dazu – aber es geht vor allem darum, die kommunikativ relevanten Themen und Botschaften zu identifizieren und zielgruppengerecht zu kommunizieren – und Beziehungen in die verschiedenen Redaktionen – auch außerhalb der Fachpresse langfristig aufzubauen.
Die Heinsberg-Studie stand zwar im medialen Kreuzfeuer und wurde sicherlich auch in großen Teilen nicht zu Unrecht gerügt allerdings, wurde hier die Sinnhaftigkeit verstanden, dass Wissenschaft auch massentauglich kommuniziert werden muss, damit sie den Elfenbeinturm verlässt. Es ist vorstellbar, dass die Kommunikation rund um das Heinsberg Protokoll auf Dauer – und in besserer und fundierterer Ausführung – wegweisend dafür sein kann, wie in der Zukunft Kommunikation für den Wissenschafts- und für den Gesundheitsbetrieb geleistet wird.
Bei einer Professionalisierung von Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation sollte darauf geachtet werden, dass diese nicht einer reinen PR-Show gleicht, bei der einzelne Akteure sich ins Rampenlicht stellen, ohne dass substanzielle Inhalte mitgebracht werden. Die Expertise muss kongruent sein mit der angestrebten Personal Brand, die einen Wissenschaftler oder Arzt als Experten positionieren sollte. Die Omnipräsenz eines Professor Christian Drosten während der Covid-19-Pandemie ist ein Ausnahmefall und zahlt natürlich sehr deutlich auf sein Image als Experte ein, aber das sollte bei gelungener Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation nicht der Hauptzweck sein. In erster Linie sollte es darum gehen, dass wissenschaftliche Inhalte nicht nur für die eigene Fach-Bubble, sondern auch leichter verständlich für die Bevölkerung formuliert und dargestellt wird. Wenn man sich einmal außerhalb des eigenen Fachkreises bewegt und mit Menschen unterhält, die nicht den ganzen Tag mit Gesundheits- oder Forschungsthemen zu tun haben, wird man schnell feststellen, dass diese häufig gar nicht verstehen, wo der Sinn in vielen aktuellen Entwicklungen liegt. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein Beispiel dafür. Und genau hier sollte gute Kommunikation ansetzen.